Kommentar von Klaus Kroemke
Liebe Leserinnen und Leser,
der Radeburger Anzeiger (RAZ) befasst sich gewöhnlich nicht mit Weltpolitik, aber niemand wird bestreiten, dass dieser Fall auch ganz unmittelbar mit Radeburg zu tun hat: die Corona-Krise.
Ich rede bewusst von Corona-Krise und nicht von Corona-Pandemie, denn die Corona-Krise ist für mich greifbar wie für jeden anderen, für den sich der Alltag ab dem 18. bzw. 23. März grundlegend verändert hat, die Pandemie nicht.
Ich habe in den Tagen des beginnenden politischen Anti-Corona-Aktionismus Mitte/Ende März versucht, meine Leser über alle verfügbaren Kanäle auf dem Laufenden zu halten und die Informationen von Bund, Land, Landkreis und Stadt für Radeburger zu bündeln und möglichst verständlich zu erklären, so dass sie aus dem Verständnis heraus auch akzeptiert werden und nicht aufgrund des Zwangs.
Dazu war es notwendig, dass ich „Corona“ selbst ein bisschen genauer verstehen lerne – wohl wissend, dass ich kein Fachmann bin, noch nicht einmal Fach-Journalist.
Doch was mich beim Studium des Sachverhalts zunehmend sauer machte, war die ab einer bestimmten Betrachtungstiefe erkennbare einseitige Information, die von Mutmaßungen über Dunkelziffern (siehe dazu unter Nachträge!) aber nicht von der Datenlage gestützt wird. Wenn man in den Primärquellen – zum Beispiel beim Robert-Koch-Institut (RKI) findet (und dieses auch schon am 23. März bestätigt), dass die „Kurve sich abflacht“, dann frage ich mich, warum überall weiter Schreckenszenarien, unterlegt mit Bildern und Videos aus Italien und exponentiell steigenden Charts, gezeigt werden. Um die just an diesem 23. März bis 5. April verhängten Ausgangsbeschränkungen, diesen schwerwiegenden Eingriff in unsere Freiheit, bis zum 20. April verlängern zu können? Ich weiß es nicht. Ich frage nur.
Aber mal konkret: wie sahen die Zahlen des RKI zur abgeflachten Kurve aus und was wurde daraus gemacht? Im Situationsbericht das Instituts vom 26. März 2020 war folgendes zu finden:
Deutschland hatte in der 11.KW 7.582 positive Fälle, in der 12. KW 23.820 – panisch meldete REUTERS, dass sich die Zahlen von einer auf die andere Woche verdreifacht hätten. Schaut man genauer hin, konnte man lesen, dass in der 11. KW 127.457 und in der 12. KW schon 348.619 Tests durchgeführt wurden. Also drei Mal mehr Tests! Nimmt man den prozentualen Anstieg, dann waren in der 11. KW 5,9% positiv, in der 12. KW 6,8% - alle anderen Verdachtsfälle (nur solche werden ja getestet), 94 bis 95%, waren negativ. Die letztgenannte Zahl wird nirgends genannt. Warum nicht? Die „Dunkelziffer“ ist also eher niedrig als hoch, der Anstieg mit 0,9% nur gering!
Warum greift auch der Landkreis Meißen die Spekulation auf, die Dunkelziffer könne hoch sein? Sie könnte höchstens dann hoch sein, wenn Personen das Virus tragen und verbreiten, die keine Verdachtsfälle sind, weil sie gar keine Symptome haben. Da es keine flächendeckende Studie dazu gibt, kann dieser – noch rein spekulative Fall – natürlich durchaus möglich sein.
Ist das der Grund, dass der Chef des RKI, Robert Wieler, entgegen der eigenen Datenlage, noch am 29. März sagt: „Ein Italienszenario ist immer noch möglich“?
Nur auf dieser Mutmaßung beruht der Narrativ vom exponentiellen Anstieg?
Also nur deshalb zeigt auch der Freistaat vorzugsweise das Corona-Diagramm mit einer steil ansteigende Kurve, die uns so beunruhigt?
Zur Erklärung dieses Charts ist nicht dort, aber auf – Danke dafür! – sehr informativen Corona-Webseite des Landkreises Meißen zu lesen, dass „alle SARS CoV-2 positiv getesteten Personen berücksichtigt (werden), also auch die, bei denen die 14tägige Quarantäne-Zeit bereits abgelaufen ist. Personen, die stationär aufgenommen wurden oder verstorben sind, werden ebenfalls mitgezählt.“
Wer keine Zeit hat, sich damit näher zu befassen, wer aus der Schichtarbeit kommt und dann noch schulpflichtige Kinder hat, denen derzeit der Lehrer fehlt, wird das kaum können, viele andere könnten es, machen sich die Mühe aber auch nicht – und bleiben verunsichert.
Fakt ist: dieser Chart wird so lange weiter steigen, bis irgendwann mal alle erfasst sind – es könnten dann 70% der Bevölkerung „positiv“ sein. Viele davon werden sich vielleicht nicht einmal krank gefühlt haben. Dieser Chart wird also niemals eine Information sein, die etwas zur Information über die tatsächliche aktuelle Gefährdungslage sagt.
Und was, wenn die Dunkelziffer der vielen möglicherweise symptomfreien Überträger bei einer Lockerung der Restriktionen nun doch noch zu „italienischen Verhältnissen“ führt? Das will natürlich niemand. Aber was sind eigentlich „Italienische Verhältnisse“
Ich recherchiere über die gern zitierte gemeinnützige Seite Correctiv.org, die Coronavirus-Faktenchecks, dann erfahre ich, dass die von verschiedenen Medien verbreiteten Bilder aus Italien gar nichts mit Corona zu tun hatten und frage mich: was ist nun überhaupt wahr? Nur das ebenfalls weit verbreitete Video aus einem norditalienischen Krankenhaus ist echt, die Bilder mit den Särgen (siehe dazu unter Nachträge!) stammen zum großen Teil von schiffbrüchigen Lampedusa-Opfern von 2015!
Nach weiterer Recherche stoße ich auf das Bulletin des European Mortality Monitoring Project (euroMOMO – Europäisches Sterblichkeitsbeobachtungsprojekt), das während der Grippe-Pandemie 2009/2010 gegründet wurde und an dem u.a. die WHO, die EU-Gesundheitsbehörde ECDC und das europäische Statistikamt EUROSTAT mitwirken. Wenn immer gesagt wird, es gäbe keine Daten - die Mortalitätsrate, die Aufschluss gibt, wie tödlich eine Pandemie ist, gibt es also schon seit 10 Jahren!
Die rote Linie in den Charts ist die durchschnittliche Sterblichkeitsrate. Man sieht in allen europäischen Ländern eine gewaltige Spitze zum Jahreswechsel 16/17 – das war die damalige Grippewelle. Im Februar/März 2018 gab es durch die Grippe den nächsten extrem hohen Ausschlag. Nur in Italien (nicht einmal in Spanien) ist der „Corona-Ausschlag“ genauso hoch wie der „Grippe-Ausschlag“ 16/17. In Deutschland ist nicht einmal eine Spitze zu erkennen. Die aktuelle Rate liegt auf oder unter dem Durchschnitt. Also warum, um alles in der Welt sollten wir „italienische Verhältnisse“ bekommen?
In Anbetracht der Faktenlage, wenn man sie denn zur Kenntnis nimmt, sollte die Politik schnellstens hinterfragen, womit sie das Herunterfahren unserer gesamten Ökonomie rechtfertigen will. Das Geld, das jetzt in Größenordnungen Klein- und Kleinstunternehmern geschenkt und mittelständischen Betrieben zinslos vorgeschossen wird, muss entweder irgendwann erwirtschaftet(!) oder inflationär nachgedruckt werden. Aber das ist nur die monetäre Seite. Wenn die Wirtschaft nicht wieder vernünftig anläuft, werden wir schon bald im Sinne der Weissagung der Cree-Indianer merken, dass man Geld nicht essen kann.
Eingedenk sinnvoller hygienischer Maßnahmen und eingedenk dessen, dass wir vieles von dem, was wir jetzt tun, schon seit Jahren hätten tun sollen, sollten wir uns fragen:
- Ist es gerechtfertigt, Kinder nicht in die Schule zu lassen?
- Ist es gerechtfertigt, den kleinen Blumenladen zu ruinieren, während der Supermarkt weiter Blumen verkauft?
- Ist es gerechtfertigt, den Friseurladen oder Kosmetiksalon zu schließen, der keine Menschenmassen bedient und seine Kunden im Bestellbuch stehen hat?
- Warum sind der Industriewarenladen, der Handyladen, der Lederwarenladen, die Wollkiste und andere Fachgeschäfte geschlossen, während Supermärkte mit dem Argument des täglichen Bedarfs sogar für solche Waren groß in die Werbung einsteigen?
- Ist es gerechtfertigt, außer ihm zur Vorsicht zu raten, einen älteren Menschen, der allein zu Hause ist, zu verbieten, seine Angehörigen, Freunde und Bekannte zu besuchen und ihn vereinsamen zu lassen?
- Ist es gerechtfertigt, in einem solchen Maße unsere Freiheit zu nehmen und alle außerfamiliären sozialen Bindungen zu kappen?
Ich frage ja nur.
Der Beitrag hat in den ersten drei Wochen nach Erscheinen allein auf Facebook und Instagram über 12.000 Personen erreicht, 5000 lasen den Kommentar, 148 Likes wurden hinterlassen, 140 mal wurde er geteilt, 56 kommentierten ihn - dazu noch Leserbriefe, E-Mails, Whatsapp-Statements, Anrufe und persönliche Gespräche - überwiegend wohlwollend, teils - zu Recht - auch kritisch. Einige Zuschriften werde ich hier in den nächsten Tagen noch veröffentlichen. Auf die kritischen Fragen bin ich in den Nachträgen eingegangen. Da sich an den Fragestellungen, wenn man von der Öffnung einiger Geschäfte absieht - in diesen drei Wochen nichts geändert hat - im Gegenteil: sie wurden durch Einführung des fragwürdigen Maskenzwangs und Ausagen der Bundeskanzlerin in der Art "wir können die Einschränkungen erst zurücknehmen, wenn ein Impfstoff gefunden wurde" sogar noch verschärft - möchte ich die Kommentarfunktionen auch weiter offen halten und auch hier weitere Informationen nachtragen - auch und gerade, wenn ich zu anderen Erkenntnissen kommen sollte und vorherige korrigieren muss - siehe oben. Sie können mir / uns allen dabei gern helfen.
Kennzeichnend fü reine Demokratie ist Gewaltenteilung. Aufgabe der Medien ist deshalb nicht, Propagandaarm von Regierung und Verwaltung zu sein, sondern als Vierte Gewalt öffentliche Diskussion und Berichterstattung zu ermöglichen und dadurch das politische Geschehen zu beeinflussen.
Links:
Leserbriefe und Meinungen
Liebe Leser,
der o.g. Kommentar in der letzten RAZ-Ausgabe hat eine große Reichweite erzielt. Über Facebook und Instagram hat er stand diese Woche über 12.000 Leser erreicht, er wurde 56 mal kommentiert und 139 mal geteilt, so das am Ende 5000 Interaktionen zusammenkamen.
Ich bedanke mich bei allen Diskussionsteilnehmern. Es geht also doch: ausnahmslos ohne Ausfälligkeiten, fair und sachlich wurde diskutiert. Es war nicht einmal eine Ermahnung nötig, trotz nicht immer konformer Meinungen. Auch für die Hinweise bezüglich der Bilder aus Italien bin ich dankbar. Hier lag eine Verwechslung vor. Die von der ARD verwendeten Bilder waren echt. Für Interessierte habe ich die Recherchen dazu im Internet unter meinem Artikel veröffentlicht. Zu allen anderen Informationen kann und will ich nach wie vor stehen.
Aus den Kommentaren zitiert:
Rainer Wittmann: Sehr gute Darstellung, Herr Kollege. Hätten wir ein paar mehr wie Dich, würde die Gesellschaft verstehen. Aber die Politik und der Mainstream wollen das nicht.
Kathrin Starke: Sehr geehrter Herr Kroemke, auch ich bin weder Viruloge noch Wirtschaftswissenschaftler. Auch ich kann seit Wochen meine Eltern trotz 80. Geburtstage nicht besuchen. Auch mein Sohn sitzt seit Wochen in München fest, musste das Osterfest ganz alleine verbringen. Deshalb hinterfrage auch ich immer wieder aktuelle Entscheidung. In meinem Bekanntenkreis gibt es ab und zu Verunsicherungen, der ein oder andere Nachbar glaubt an Verschwörungstheorien aus dem Internet. Aus diesem Grund finde ich Ihren Artikel ein wenig verantwortungslos. Damit schüren Sie das Nichtwissen und bringen mehr Verunsicherung in die Häuser. Gerade Ältere lesen Ihre Zeitung und können nicht weiter auf den unterschiedlichsten Seiten dazu recherchieren. Die von Ihnen zitierte Seite Correctiv.org widerlegt ja auch den allergrößten Teil der wildesten Gedankenkreationen. Aber wieviele Ihrer Leser verlinken sich dahin? Schöner wäre es, wenn der RAZ Mut machen würde, auf Hilfsprojekte hinweisen würde. Vielleicht auch Tipps zur Gestaltung des Tages, Wanderrouten in der Umgebung - mir fallen da spontan viele Dinge ein. Wir alle müssen diese Zeit gut überstehen. Das gelingt aber sicher nicht mit "Ich weiß es nicht"-Artikeln.
Jan Schütze: Die Fragen sind alle berechtigt, ich finde verschiedenes hätte man anderes umsetzten müssen, wieder anderes noch radikaler unterbinden. Leider wird auch hier im Radeburger Anzeiger vieles, unter Einbeziehung fragwürdiger und unvollständigen Statistiken und Hinweisen auf die normale Grippe, verharmlost. Mit keinem Wort wird auf die zu erwartenden Langzeitschäden hingewiesen etc. . Fakt ist, jeder Tag ohne Einhaltung der aktuellen Maßnahmen, welche ich zum Teil zu lasch und in Teilen falsch finde, kostet uns viele Tage welche das Ende der aktuellen Situation weiter nach hinten verschieben. Fakt ist, ohne einen Impfstoff welcher flächendeckend nicht vor 1,5 bis 2 Jahren verfügbar sein wird oder massenhafte schnelle Tests wird uns der Virus noch Jahre begleiten.
Nun ja, die täglichen neuen Fallzahlen (Neuinfektionen und Tote) in Deutschland steigen wieder weil ein großer Teil der Menschen in unserem Land immer noch wahlweise an Verschwörung, Überreaktion oder Gängelung der Regierung an uns Bürgern glaubt. Wer mich kennt weis meine Meinung zu den aktuellen politischen Akteuren in Deutschland und bin daher weit davon entfernt der "Politik" einen Freifahrtschein in dieser Thematik auszustellen. Ich habe Freunde und Bekannte in vielen Teilen auf der Welt, lese auch nicht nur deutsche Zeitungen. Kein seriöser Wissenschaftler bestreitet die Ernsthaftigkeit der aktuellen Bedrohung. FAKT ist: jeder Tag an den wir nicht handeln schiebt das Ende der aktuellen Maßnahmen viele Tage nach hinten (ca. 5-7 Tage aktuell). Fragen kann man sich trotzdem ob alle aktuellen Maßnahmen zielführend sind.
Johann Weimaraner: Lieber Klaus Kroemke vom Radeburger Anzeiger, ich danke Ihnen für diesen unaufgeregten, höchst sachlichen und für viele der agi(ti)erenden Protagonisten höchst höchst unangenehmen Artikel!
Sie stellen die richtigen Fragen, sie setzen die richtigen Kontexte. Und Sie werden von italienischen und schweizerischen Medien inzwischen bestätigt. Leider werden Sie - wie wir alle - keine Antworten von den Protagonisten bekommen. Und so wird sich das CUI BONO erst lange nach dem QUO VADIS beantworten. Dann, wenn es keine Rolle mehr spielt, wir mehr mit der Wirkung als mit der Ursache beschäftigt werden. Wie wir alle auf eine solche Situation reagieren, hat dieser Testlauf mit höherer Trefferrate als jeder Corona-Test bewiesen: Nicht mit der gebotenen EINIGKEIT sondern wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner! Heute würde August Heinrich Hoffmann von Fallersleben wohl dichten: Deutschland, einzig Hühnerstall !!!
Tobias Barthel: Ein sehr gut geschriebener Artikel. Gerade die volkswirtschaftlichen Risiken verfolge ich sehr angespannt. Dennoch sollten die Gefahren einer solchen Pandemie nicht verharmlost werden. Bitte nehmt euch die 22 min für eine Klasse Zusammenfassungen der gesamten Lage. Nach meiner Auffassung sehr gut aufbereitet von der jungen Wissenschaftlerin. Viele Grüße
Dierk Großmann: Radeburger Anzeiger - RAZ Als Journalist müssten Sie wissen, dass es nicht die Statistiken an sich sind - sie können, wenn korrekt erfasst, quasi nicht Lügen. Zum Problem werden sie, wenn man sie falsch interpretiert oder/und durch Weglassen vergleichbarer oder ergänzender Werte fahrlässig oder bewusst manipulativ einsetzt. Das Sie - wie so viele - Fragen haben, ist mehr als verständlich. Da bin ich auch ganz bei Ihnen. Von Ihnen als Journalist hätte ich mir aber mehr gewünscht als nur Fragen, gewagte Interpretationen und Ihren wiederkehrenden Hinweis, selbst nichts zu wissen. Letzterer ist nun vor allem bei mir hängengeblieben. Schade! Schön wäre es, wenn Sie noch einmal nachjustieren könnten und mit fundiertem Fachwissen sattelfeste Antworten liefern.
Frank Schellmann: Was Du da zusammengetragen hast, ist einfach unglaublich, da bleibt einem der Mund offen stehen. Ich frage mich: Wer profitiert davon, uns die Taschen mit nicht aussagefähigen Statistiken zu füllen? Die einzige relevante Zahl, ob unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps steht, ist die Anzahl der wegen Infektion auf Intensivstation liegenden Patienten und die Anzahl der freien Intensivbetten Diese Angabe wird selten und eher schätzungsweise vermeldet, obwohl die Erfassung stattfindet.
Sylvia Barthel: Hallo Herr Kroemke, vielen Dank für den ausführlichen, ehrlichen aber auch wirklich mutigen Bericht über Corona. Ich hoffe für Sie, dass es keine negativen Konsequenzen hat. Ansonsten wünsche ich alles Gute und hoffe, dass es weiter solche Berichte gibt.!!! Klasse!