Friedensdekade 2024 Kirchspiel Radeburg

Die Ökumenische Friedensdekade findet jedes Jahr in den zehn Tagen vor dem Buß- und Bettag statt. Da sie zehn Tage umfasst, trägt sie den Namen „Dekade“. Daran beteiligt ist auch das Kirchspiel Radeburg. Unser Leser Horst Rasch hat dazu in verschiedenen zum Kirchspiel gehörenden Gemeinden seine Gedanken vorgetragen und in dem folgenden Leserbrief zur Niederschrift gebracht.

Der Propaganda ausgeliefert?

Was mich bewegt: Wie kann es sein, dass mich selbst gute Freunde in der Frage nach Frieden oder Krieg nicht mehr verstehen? Dass sie meinen, so wie vor einem viertel Jahrhundert unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt werden musste, müsse Europas Frieden und Freiheit heute durch einen Sieg der von uns unterstützten Ukraine über Russland gesichert werden. Die Eskalationsrisiken dieses Krieges werden meist als gering eingeschätzt, zumindest hintangestellt.
Es ist die Beeinflussung durch die "veröffentlichte Meinung", durch das, was mächtige Vordenker in Politik, Medien und Wissenschaft, verstärkt durch die "Erkenntnisse" in der Bubble der Etablierten, entwickeln. Tag für Tag medial transportiert. Es sind seltener Sachinformationen, die uns erreichen, vielmehr wird mit gefilterten, z.T. sogar Falschinformationen an unser Empfinden appelliert, unser Unterbewusstsein so angesprochen, dass in unseren Köpfen "Erkenntnisse" wachsen. Der propagandistische Aspekt dieses Cocktails, den wir mehr mit dem Bauch als mit dem Kopf verarbeiten, wird uns zumeist nicht bewusst.
Ob Russland, China, USA oder Europa – überall läuft Propaganda, und das sehr gezielt schon seit über hundert Jahren, im Falle von Kriegen oder Kriegsunterstützung sowie zur Verankerung von nationalen, ethnischen und gesellschaftspolitischen Voreingenommenheiten besonders intensiv. Dies richtet sich an den Gegner wie auch an die eigene Bevölkerung. Letzteres in Demokratien möglicherweise besonders intensiv, denn nur wenn man Mehrheiten dafür sichern kann, sind Kriege bzw. Kriegsunterstützung dauerhaft durchsetzbar.
Dem Negativimage des Begriffs Propaganda wurde schon bald dadurch begegnet, dass Vergleichbares in Wirtschaft und Gesellschaft unter dem Titel PR (Public Relations) praktiziert wurde. Die Nato entwickelt die "fortschrittlichste Form der Manipulation" seit 2020 mit modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere der Neurowissenschaften, zu einer eigenständigen militärischen Waffengattung, der Kognitiven Kriegsführung (Cognitive Warfare). In seinem Buch unter diesem Titel dokumentiert Jonas Tögel, dass man auf diesem Wege meint, den menschlichen Verstand wie einen Computer "hacken" zu können. Und auf diese Weise letztendlich auch dauerhaften politischen Erfolg sichern zu können.
In voller Anwendungsbreite ist dies noch militärische Zukunftsmusik. Noch gibt es Menschen, die sich dagegen stemmen. Die dafür viel in Kauf nehmen: das abgeschoben werden ins politische und gesellschaftliche Abseits, die Kündigung von Lehraufträgen, das Verlieren von Aufträgen bei Presse, Funk und Fernsehen. Weil sie zu ihren Erkenntnissen stehen, sich nicht verbiegen wollen. Eins ist allerdings offensichtlich, sie sind in der Minderheit. Und das Trommelfeuer von Talkshows, Leitartikeln, Dokumentationen und Nachrichten mit gezielt gefilterten Informationen soll dafür sorgen, dass sie in der Minderheit bleiben. Unberücksichtigt bleibt, dass dies das Vertrauen in Medien und Politik massiv beeinträchtigt und letztendlich die Gesellschaft auseinander treibt – denn viele Menschen haben am Ende doch den vagen Eindruck, dass sie manipuliert werden.
Wir alle sind in der Lage logisch zu denken. Wir können bei genauerer Recherche erkunden, in welche Richtung Kapitalinteressen zielen, wovon Politik gesteuert wird, wie die Abhängigkeiten von den Mächtigen (Personen wie Staaten) gestrickt sind – mit zunehmend größerem Dunkelfeld in der Reihe der genannten Sachverhalte. Vor allem aber sollten wir in der Lage sein, die grundlegenden Interessen der Menschen im eigenen Umfeld wie auch im eigenen Lande zu erkennen und uns ein Urteil darüber zu erlauben, was dem auf Ebene der Politik entsprechen sollte. Ganz im Gegensatz zu einer Praxis, die das Wohl der Menschen, das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft kaum noch ernsthaft im Blick zu haben scheint, und lieber das Bild eines politischen Spiels um Taurus, Tomahawk und Hyperschallraketen vermittelt - ohne die Folgen zu bedenken.
Um von der Propaganda in Bezug auf den Ukrainekrieg einen Eindruck zu gewinnen, möchte ich nachfolgend zwei Beispiele skizzieren:

Putin will das Gebiet der Sowjetunion wiederherstellen

Worum geht es dem militaristisch auftrumpfenden Teil der deutschen Politik? Worum geht es den Leitmedien, die dazu keine Alternative kennen, trotz der sichtbaren Folgen im Lande? Wenn weiterhin zweistellige Milliardenbeträge in den Ukrainekrieg fließen sollen, wenn Aufrüstung und kriegsfähig-machen gegen starke Kräfte in der Gesellschaft durchgesetzt werden sollen, braucht es die Angst einer Mehrheit der Menschen. Die Angst, dass Putin schon demnächst in der Lage wäre, die Nato anzugreifen, Europa zu überrollen. Diese ins Unterbewusstsein eindringende Angst lässt es dann fast selbstverständlich erscheinen, dass die Ukraine schließlich auch unsere Freiheit verteidigt und dabei massive Unterstützung braucht. Dass die Angst vor den Eskalationsgefahren nicht ihrerseits verunsichert, dafür sorgen wagemutig auftretende Interessenvertreter von Kapital, Militär und Rüstung unter den Politikern.
Putin habe gesagt, "dass er das alte Gebiet der Sowjetunion wiederherstellen möchte und dazu zählen eben auch die baltischen Staaten ." Dies äußerte André Bodemann, Generalleutnant der Bundeswehr im Juli 2024 bei der Vorstellung des „Operationsplans Deutschland“. Ob er der erste oder einzige Überbringer dieser Botschaft ist, habe ich nicht untersucht. Fakt ist, dass sich diese Ansicht, wohl auch schon früher medial vermittelt, tief ins Bewusstsein vieler Menschen eingegraben hat. Nur: es gibt es keinen Beweis für diese Aussage.
Von einem Bundestagsabgeordneten angefragt, lässt ein Staatssekretär des Auswärtigen Amtes stellvertretend für die Bundesregierung in der Bundestags Drucksache 20/12418 unter dem 1. August 2024 auf Seite 33 verlauten: "Äußerungen des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, wonach eine Wiederherstellung der Sowjetunion beabsichtigt werde, sind der Bundesregierung nicht bekannt." Wobei man sicher davon ausgehen dürfte, dass zuvor gründlichst gesucht wurde! Im Rahmen der Bundespressekonferenz darauf angesprochen, wollten die Regierungsvertreter von dieser einfachen Wahrheit am liebsten schon nichts mehr wissen.

Fazit: Die Bundesregierung mag sich mit Falschaussagen nicht ins Unrecht setzen. Die Leitmedien jedoch haben diesbezüglich schon lange keine Hemmungen mehr. Und die Ampel-Regierung wie auch CDU/CSU-Opposition haben keinerlei Interesse daran, diese Propaganda zu stoppen, denn die so erzeugte Angst der Bürger bereitet der Militarisierung regelrecht den Weg.

In der Sächsischen Zeitung vom 30.01.2024 berichtet Jonas Niesmann von einem Disput mit dem ukrainischem Botschafter:

»Ukrainischer Botschafter: "Sie würden auch nicht darüber verhandeln, Sachsen abzugeben"
Bei einer Podiumsdiskussion in Dresden bedankt sich der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev bei den Deutschen – und findet eindringliche Worte. Wer geglaubt hat, er könne nicht so scharf austeilen wie sein Vorgänger Andrij Melnyk, wird an diesem Abend eines Besseren belehrt.Der Hörsaal ist voll, alte und junge Menschen sitzen dicht gedrängt auf Fensterbänken und Treppenstufen.
[Die Überschrift bezieht sich offenbar auf die letzten drei Absätze des Zeitungsartikels:]
Nach einer knappen Stunde dürfen Fragen gestellt werden, Moderatorin Holzscheiter bittet mehrmals darum, sich kurz und sachlich zu fassen. Sie wird wissen, warum. Im Publikum steht der frühere CDU-Innenminister Horst Rasch auf, und schon beginnt er einen kleinen Vortrag über Verhandlungen und Waffenstillstand. Im Saal wird es unruhig, doch Makeiev bleibt still und hört aufmerksam zu.Als er schließlich antwortet, schneidet jedes Wort wie ein Messer durch den Raum. „Stellen sie sich mal vor“, sagt er und blickt Rasch ins Gesicht, „wie sie Verhandlungen führen würden, wenn Ihr Haus angegriffen würde. Wenn sie ins Schlafzimmer gedrängt werden, und sie sehen ihre Kinder tot, ihre Frau vergewaltigt. Das ist etwas Persönliches. Und wenn Deutschland angegriffen wird, dann gehen sie auch nicht in Verhandlungen darüber, Sachsen abzugeben.“ Der ganze Saal applaudiert.Horst Rasch sagt noch etwas, doch er kommt nicht dazu, seinen Satz zu Ende zu bringen. „Das Ziel Russlands ist klar formuliert: Die Ukraine auszulöschen“, unterbricht ihn Makeiev mit kalter Stimme. „Wenn wir uns ergeben, dann werden Sie hier an der Universität in Dresden bald den Genozid an den Ukrainern im 21. Jahrhundert unterrichten.“«

Als Hintergrund meiner beabsichtigten Frage hatte ich Dawyd Arachamija erwähnt, im Parlament der Ukraine Fraktionsvorsitzender der Selenskyj-Partei, der als Delegationsleiter im März und April 2022 an den Friedensverhandlungen mit Russland unter Moderation der Türkei in Istanbul teilgenommen hatte und in einem Interview am 24. November 2023 mit dem TV-Sender "1+1 Ukraine" sagte: «Die Russen haben wirklich fast bis zum letzten Moment gehofft, dass sie uns zwingen würden, ein solches Abkommen zu waren bereit, den Krieg zu beenden, wenn wir – wie einst Finnland – der Neutralität zustimmten und uns verpflichteten, der NATO nicht beizutreten.»
Meine Frage war, ob Arachamija zutreffend zitiert worden sei. Später schob ich die Frage nach, wie die Ablehnung des Vertrags aus heutiger Sicht zu bewerten sei.
Das Geschehen im Hörsaal habe ich zu Zeiten achselzuckend zur Kenntnis genommen. Fragte mich, hattest du etwas anderes erwartet?
Inzwischen sehe ich es als geeignetes Beispiel, daran die Mechanismen der Kriegspropaganda zu demonstrieren:
1. Die Antwort des Botschafters:
Meine Frage hatte nicht etwa "Feindpropaganda" zum Ausgangspunkt. Sie bezog sich auf die Aussage eines ukrainischen Spitzenpolitikers der Regierungspartei, die von der Quellenlage her unstrittig ist. Der Botschafter ging in keiner Weise auf die Frage ein, Vielmehr gab er ein Beispiel der oftmals total an der Sache vorbeigehenden extrem emotionalisierten Propaganda. Über die Emotionen werden die Köpfe gesteuert.
2. Die anwesenden Menschen:
Von ihrem Beifall für die Antwort des Botschafters wird zutreffend berichtet. Fazit: die jahrelange emotionalisierte Propaganda hat große Teile der Bevölkerung bereits in ihrer Haltung geprägt: kompromisslose, von Sachfragen unbeirrte Kriegsunterstützung.
3. Der Journalist, die Redaktion:
Er berichtete über das umfangreiche Podiumsgespräch zutreffend. Selbst die Antworten des Botschafters auf meine Fragen gibt der Journalist wortwörtlich wieder. Was meine Fragen anging, war er ganz und gar der "verantwortungsbewußte" Propagandist oder "Haltungsjournalist". Und nicht nur er – auch der Redaktion ist offenbar nichts aufgefallen. Ergebnis: Propaganda durch Informationsfilterung und tendenziöse Berichterstattung.
4. Die allgemeine Berichterstattung durch Öffentlich-Rechtliche und sonstige Leitmedien:
Meine Frage ergab sich daraus, dass über die Verhandlungen im März und April 2022 in Deutschland nahezu nicht, und über Arachamijas Interview im November 2023 absolut nicht berichtet wurde (bezüglich der Ö-R habe ich das detailliert untersucht). Auch das gehört zur Propaganda: wer entschlossen Krieg führen will, formt die Welt in den Köpfen der Bürger, formt sie durch

  • gezielte Steuerung des Informationsflusses,
  • Lenkung der Aufmerksamkeit,
  • ständig wiederholte negative Kategorisierung von Organisationen und Persönlichkeiten,
  • Framing,
  • Darstellungen, die Alternativen nicht zulassen,
  • endlose Wiederholungen und eine ganze Reihe weiterer Techniken bis hin zur
  • gezielten Beeinflussung des Unbewussten, der menschlichen Psyche

– wozu sonst sollte z.B. die Emotionalisierung gut sein, die auch der Botschafter in einem großen Konzert von Politik, Medien und vieler weiterer Akteure praktiziert?

(Bezüglich der Überschrift der Sächsischen Zeitung hier noch eine Sachinformation: Im März und April 2022 ging es um eine Möglichkeit der Rückkehr zum Gebietsstatus vor dem 24.02.2022; jetzt, reichlich zwei Jahre später, sähe das deutlich anders aus.)

Horst Rasch, Bärnsdorf den 05.11,2024

Zur Person

Horst Rasch (Jahrgang 1953)  in Ober-Mittelebersbach) ist in Ebersbach geboren und lebt heute im Radeburger Ortsteil Bärnsdorf. Nach seinem Abitur 1971 an der Kreuzschule Dresden begann Horst Rasch 1973 ein Maschinenbaustudium an der TU Dresden, 1977 schloss er dort mit dem Diplom ab. Von 1977 bis 1989 war Rasch als Problemanalytiker, Systemprogrammierer, Betriebsorganisator und DV-Projektierungsleiter in verschiedenen DDR-Betrieben tätig. 

Bis 1989 parteilos, gelangte Rasch schließlich 1990 über seine Mitgliedschaft in der Bürgerrechtsbewegung „Demokratischer Aufbruch“ in die CDU. Von 1991 bis 2005 war er CDU-Kreisvorsitzender im Landkreis Riesa-Großenhain und zwischenzeitlich auch Mitglied des CDU-Landesvorstandes. Von 1990 bis 2009 war er Mitglied des sächsischen Landtages (Wahlkreis 38 - Riesa-Großenhain 2). Nach dem Rücktritt von Kurt Biedenkopf als Ministerpräsident und Klaus Hardraht als Innenminister im Jahr 2002 übernahm er das Amt bis zu den Nuewahlen 2004. In der 4. Legislaturperiode (2004–2009) war er Vorsitzender im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Bei der Landtagswahl 2009 trat Rasch nicht mehr als Kandidat an und schied somit aus dem Landtag aus und arbeitet seitdem als freiberuflicher Ingenieur.