Ca. 100 Einwohner des Ortsteils und aus den umliegenden Ortschaften hatten sich in dem Vereinshaus des Heimat- und Traditionsvereins Reinersdorf e.V. eingefunden, um zu erfahren, was im Technischen Ausschuss der Gemeinde seit September auf dem Tisch liegt: die Pläne für drei Windkraftanlagen am Harthenweg. Um PV-Anlagen ging es auch, aber eher nebenbei, denn die Experten von der SachsenEnergie betonten, nur zum Thema Windkraft sprechen zu können.
Nicht nur im wörtlichen Sinn lag Spannung in der Luft. Man merkte dem erst im September gewählten Ortschaftsratsvorsitzenden Kurt Rühle die Verunsicherung an, als er seine Mitbürger ermahnte. Sinngemäß forderte er Sachlichkeit, „sonst können wir das so nicht mehr machen.“ Um es vorwegzunehmen: die Sorge war unbegründet, denn trotz der Kontroverse verhielten sich alle so, wie man es sich bei einem Bürgerdialog eigentlich immer erhofft.
Der im September wiedergewählte Bürgermeister Falk Hentschel steckte in seinem Anfangsstatement den politischen Rahmen ab. Für das genannte Gebiet gibt es mit der SachsenEnergie einen Investor. Da der für solche Vorhaben übliche Regionalplan des zuständigen Regionalen Planungsverbandes (RPV) außer Kraft ist, besteht damit Baurecht für so genannte „privilegierte Bauvorhaben“ überall im Außenbereich. Notwendig ist neben dem Bauantrag nur noch die Einholung der immisionsschutzrechtlichen Genehmigung, die vom Landratsamt erteilt wird. „Die Rechtslage gibt den Investoren relativ viele Möglichkeiten, selbstbewusst voranzugehen,“ so der Bürgermeister. „Die Gemeinde, der Gemeinderat und die Verwaltung sind in Sachen Windenergie und Photovoltaik nicht proaktiv beteiligt, nach geltendem Recht können sie aber eine Genehmigung auch nicht versagen, denn in einem solchen Fall droht eine Ersatzvornahme.“ Soweit der Bürgermeister, der auch noch einmal den Wunsch nach einer sachlichen Diskussion äußerte.
Die „Ersatzvornahme“ ist das äußerste Mittel, wenn ein Gemeinderat Widerstand gegen geltendes Recht leistet, im konkreten Fall, wenn er durch Beschlüsse die Errichtung der drei Windgiganten verhindern will. Die Beschlüsse werden dann durch das Landratsamt als zuständige Aufsichtsbehörde aufgehoben und die Strafen reichen bis zur persönlichen Haftung (siehe dazu §§ 107, 111, 112 SächsGemO – Gemeindeordnung).
Tobias Goth von der SachsenEnergie will es aber gar nicht so weit kommen lassen. Er betonte die Verwurzelung des Konzerns in Ostsachsen und erklärte, dass es Strategie der SachsenEnergie sei, frühzeitig den Bürgerdialog zu suchen, um das größtmögliche Einvernehmen zu erzielen und Verständnis bei den Bürgern zu wecken, „dass die ehrgeizigen Ziele, die Energieminister Robert Habeck aufgestellt hat, nämlich 2% der Landesfläche für Windenergie bereitzustellen, nur mit den Bürgern gemeinsam umgesetzt werden kann.“
Jan Simon betreibt im Auftrag der SachsenEnergie die Akquise vor Ort und erklärte, dass für „fast alle“ für den Bau der Windräder notwendigen Flächen – im Wesentlichen 69 ha Bauflächen und Verkehrsflächen bereits mit Pachtverträgen gesichert sind. Das sind, um es sich vorzustellen, etwa 100 Fußballfelder!
Entsprechend war die erste Frage eines Einwohners berechtigt: „Können wir denn gegen diese Anlagen noch etwas machen?“ Eine nicht gegebene eindeutige Antwort wäre gewesen: NEIN, die aber so kurz und bündig zu geben sich niemand traute.
Tobias Groth formulierte gegen Ende der Veranstaltung: „Wenn das 2% Ziel bis 2027 nicht erreicht wird, gilt Baurecht überall.“ Richtig ist, dass Sachsen bis 2027 1,3% der Landesfläche bereitstellen muss. Für unsere Region hat das derzeit keine Bedeutung, weil, wie anfangs schon gesagt, der Regionalplan als Steuerungselement derzeit ohnehin außer Kraft ist.
Zwischen den drei Orten werden drei Windkraftanlagen vom Typ Vestas V172 errichtet, ein Typ, den es in dieser Dimension in Deutschland bisher noch nicht gibt, obwohl sogar noch größere in Planung sind. Der erste Auftrag für 6 solche Windräder wurde vor einem Jahr in der Nähe von Friedrichshaften erteilt. Diese Anlage soll in nunmehr einem halben Jahr in Betrieb gehen. Erfahrungen, geschweige Studien, mit diesen Dimensionen gibt es also noch nicht. In der Diskussion wurde nicht darauf eingegangen, dass die V172 speziell für Schwachwindgebiete konzipiert sind. Beim namensgebenden 172 m Rotordurchmesser wird der Wirkungsgrad entsprechend den Hebelgesetzen also durch die Größe erzielt. Bei Windgeschwindigkeiten über 90 km/h schalten die Anlagen automatisch ab und drehen in den Wind. Aufgrund der Neuartigkeit gibt es nur Zusicherungen des Herstellers, aber keine tatsächlichen Erfahrungen mit Orkanstärken (Kyrill 2007: Windspitzen bei uns bis zu 120 km/h, Tornado 2010 über 255 km/h).
Frank Blum von der Bürgerinitiative Reinersdorf-Kalkreuth malte in seiner ausführlichen Gegenrede sehr anschaulich aus, was den Bürgern von Reinersdorf, Göra und Kalkreuth bevorsteht.
Zunächst machte er die riesigen, bisher noch nie dagewesenen Dimensionen deutlich. „Wie hoch ist der Kirchturm von Reinersdorf? – 34 Meter. Ein einzelnes V-172-Rotorblatt ist 86 Meter groß (also fast so hoch wie die Frauenkriche – 90 m. d. Red.).
Die Nabenhöhe soll bei 199 Metern liegen – das entspricht ungefähr der Höhe der Aussichtsplattform des Berliner Fernsehturms (203 Meter). Eine V 172 erreicht eine Gesamthöhe von 285 Meter. Die ist zwar niedriger als der Fernsehturm in Berlin, aber deutlich höher als der Dresdner Fernsehturm (252 Meter)
„Die Windräder wird man also noch in einer Entfernung von 60 km sehen,“ sagt Frank Blum. Faktencheck: Die Fundamente werden auf einer Höhe von 160 Metern über dem Meeresspiegel errichtet. Somit wird das Windradtrio eine Landmarke mit einer Höhe von 445 Metern über NN sein. Der Keulenberg war mit 413 Metern die bisher höchste Erhebung zwischen Dresden und Südschweden. Dieses „Rekords“ wird er dann verlustig sein.
Sich dies wirklich in Ruhe bewusst zu machen, das dürfte schockierend sein. Damit war aber Herr Blum noch nicht fertig. Er schätzte die Geschwindigkeit an den Flügelspitzen auf ca. 200 m/s. . Er schätzte die Geschwindigkeit an den Flügelspitzen auf ca. 200 km/h. Der Faktencheck: Die Schallleistungsprognose des Herstellers weist aus, dass die V170 in der Spitze rund 10 Umdrehungen pro Minute haben, was 90 m/s entspricht. Das sind 324 km/h. Das ist schneller als abhebende Passagierflugzeuge.
Die Diskussion drehte sich im Folgenden um die „üblichen Fragen“. Beginnend beim Schattenwurf mit „Diskoeffekt“ wurde auf entsprechende Abschaltroutinen verwiesen. Die Anlagen werden also abgeschaltet, sobald Schatten auf bebaute Grundstücke fällt.
Schalldruck, Infraschall, Abrieb, Vogelschutz, sonstiger Naturschutz, Mikroklima und die spätere Entsorgung wurden alle mit Verweis auf die „nicht von SachsenEnergie beeinflusste Informationsseite“ https://energiewende.eu/argumente-gegen-windkraft-eine-kritische-analyse abgehandelt.
Faktencheck: Das Wording ist korrekt: die Quelle ist von SachsenEnergie unabhängig. Dennoch entspricht sie schon auf den ersten Blick nicht wissenschaftlichen Standards. In einem Onlinebeitrag wird der Autor dieses Beitrags detailliert darauf eingehen. Fürs erste soll der Hinweis genügen, dass die Infoseite sich aufgrund der Neuheit der V 172 auf deutlich kleinere Anlagen bezieht und darüber hinaus sich häufig auf Wikipedia beruft, statt auf wissenschaftlich gesicherte Quellen. Bei anderen Themen (z.B. Mikrofasern) beruft man sich auf eine Studie, die von BASF, Evonik, Beiersdorf u.a., also von den Verursachern, finanziert wurde.
Die Vertreter von SachsenEngerie fanden auch selber kritische Worte. Das größte Problem sei, das die jetzt schon (!) zur Verfügung stehende Windkraft zeitweise gar nicht abgenommen werden kann. Teilweise, weil es an der Netzkapazität fehlt. Für Raunen im Publikum sorgte dann der Satz, dass dafür ein Umspannwerk hermüsse.
Faktencheck: Die drei Türme liefern in der Spitze 21,6 MW (3 Windkraftanlagen a 7,2 MW). Mitunter kann man bis 20 Megawatt Leistung in ein Mittelspannungsnetz ohne Umspannwerk einspeisen. Über 20 Megawatt läuft es fast immer auf ein Umspannwerk hinaus.
Thobias Groth versuchte zu beschwichtigen: „Das ist nur ein Transformator.“ Allerdings benötigen diese 21,6 MW Dimensionen, bei denen man schon von einem Umspannwerk sprechen kann. Es mag zwar ein ganz kleines sein, aber Leitungen kommen dazu – ober- oder unterirdisch und die brauchen Trassen. Alles im Detail derzeit noch unklar.
Der Punkt, an denen die Anwesenden dann tatsächlich spürbar geteilter Meinung waren, war die monetäre Frage.
„Wie hoch ist der Wertverlust der Grundstücke?“ war eine durchaus relevante Frage. Tobias Groth argumentierte mit Standorten, wo „Häuslebauer“ hingezogen seien, nachdem in der Nähe ein Windpark errichtet wurde. Das ist natürlich kein Argument, denn dadurch können die Grundstücke, gerade in der Nähe von Dresden, ja überhaupt erst erschwinglich geworden sein. Die Frage zum Wertverlust ist damit nicht ausgeräumt.
Es kam der Vorschlag, die Einwohner der an die Windräder angrenzenden Ortsteile durch einen günstigeren Energiepreis zu entschädigen. Ein durchaus diskutables Thema, denn in ihrem Vortrag wurde auf Projekte wie „Bürgerwindkraft“ verwiesen. Außerdem sei die Gemeinde an den Gewinnen beteiligt. Verbindliches konnte man aber nicht sagen.
Eine Reinersdorferin sagte, dass man doch nicht nur auf das Geld schauen könne. „Der Wohn- und Lebenswert in unseren Dörfern ist nicht mit Geld aufzuwiegen.“ Offenbar sprach sie damit auch vielen aus dem Herzen.
Es ist auch klar, dass die Windräder nur errichtet werden können, wenn Grundstückseigentümer bereit sind, ihr Land zu verpachten und es musste auch nicht diskutiert werden, dass die Pachten ein Vielfaches höher sind, als wenn man die Flächen an Landwirte verpachtet. Die aufgerufene Zahl von 200.000 Euro Jahrespacht wurden zwar dementiert. „So hohe Summen haben wir noch nie gezahlt“, versicherte Thomas Groth. Der Faktencheck ergab, dass aber 150.000 € pro Windrad durchaus realistisch sind und der Trend für so große Windräder steil nach oben geht.
Bürgermeister Falk Hentschel hatte die Zahl ins Spiel gebracht und angedeutete, dass private Eigentümer, die vielleicht in einer schwierigen familiären Situation sind, ein Erbgrundstück auszahlen müssen, einen Hof zu sanieren, Schulden abzutragen oder pflegebedürftige Angehörige haben, durchaus ein verständliches Interesse haben könnten, so einen Vertrag zu unterschreiben.
Falk Hentschel: "Eines ist ist klar: Wenn kein Eigentümer mitmacht, kommt auch kein Windrad. Man muss aber auch die Ziele, die wir haben, um das Klima zu schützen, im Auge behalten. Jeder ist dafür, aber wenn so ein Vorhaben in die Nähe des eigenen Gartens kommt, ist plötzlich jeder Naturschützer.“
Tobias Groth versicherte, das Stimmungsbild – vom günstigeren Tarif über die Sorgen um den materiellen und ideellen Wertverlust an den Vorstand der SachsenEnergie weiterzugeben und im Dialog zu bleiben.
Kurt Rühle bedankte sich bei seinem Schlusswort für die Ausführungen und vor allem für die Sachlichkeit und Ruhe, in der die Versammlung stattfand.