Annahme 1. Die Landwirte überdüngen ihre Felder
Um eine Überdüngung zu verhindern, wurde in der novellierten DüV der Zeitraum, in dem Dünger aufs Feld gebracht werden darf, deutlich verkürzt. Warum hat man das gemacht und wie zielführend ist diese Beschränkung?
„Grundsätzlich macht es schon Sinn, die Umwelt zu schützen, indem man im Winter keine Gülle ausbringt. Klüger wäre es aber, die Ausbringezeiten von der Vegetation abhängig zu machen,“ sagt der Ex-Vorsitzende der Agrargenossenschaft Radeburg, Rüdiger Stannek. „Die Frage ist immer, nehmen die Pflanzen die Nährstoffe auf? Wenn es zu kalt ist, kommt es zur Versickerung. Die Pflanzen brauchen immer eine bestimmte Temperatur. Die lässt sich nicht in starre Zeiträume pressen, wir haben manchmal schon am ersten Februar geeignete Bedingungen, manchmal aber auch erst im März oder April.“ Heiko Hennersdorf, Vorstand Pflanzenbau, ergänzt: „Wir haben seit einigen Jahren auch im Herbst länger Vegetation als noch vor einigen Jahren, warum soll man also nach der Getreideernte nicht noch Gärreste aus der Biogasanlage ausbringen, wenn die Pflanzen noch aufnahmefähig sind.“
Organischer Dünger ist umweltfreundlicher, weil er zu einem geschlossenen Stoffkreislauf gehört. Billiger und einfacher zu händeln als mineralischer Dünger ist er allerdings nicht. „Aus ökologischer Sicht ist der organische Dünger aber eigentlich der gewollte,“ sagt Rüdiger Stannek, „deshalb haben wir uns dazu bekannt.“
Die neue DüV greift durch die Restriktionen nun gerade den organischen Dünger an. Es ist, wenn man so will, der nachhaltige, der „grüne“ Dünger, während der industriell hergestellte mineralische Dünger zusätzlich in den Stoffkreislauf gebracht wird. Wenn etwas in diesem Prozess umweltschädlich ist, dann dieser. Wer den Aufwand eines nachhaltigen ökologischen Stoffkreislaufs betreibt, wird durch das neue Gesetz – vorsichtig ausgedrückt – nicht unbedingt begünstigt.
Obwohl man es fachlich besser könnte, erzwingen die verkürzten Ausbringezeiten, dass mehr Lagerkapazitäten vorgehalten werden müssen. Entweder schafft man selber neue Lager, was für einen Betrieb wie Radeburg, der von Landschafts- und Vogelschutzgebieten „eingeschlossen“ ist, schon vom Genehmigungsverfahren her sehr schwierig zu bewerkstelligen ist.
Die beiden Landwirte sind sich einig, dass es natürlich für eine Behörde wiederum schwierig ist, für jeden Standort die genauen Vegetationszeiten festzulegen. Großenhain ist anders als Meißen und Radeburg ist wieder anders. Das ist dann schon auf Kreisebene schwer zu steuern. „Der Stichtag müsste wenigstens fließend sein, den jährlichen Bedingungen angepasst,“ meint Heiko Hennersdorf.
An Güllelager werden enorme Anforderungen gestellt, Umweltrisiken sind zu prüfen, Auflagen zu erfüllen, die Emissionssicherheit muss gewährleistet sein, Erkennung von Lecks usw. „Man kann nicht sagen, dass das fachlich falsch ist,“ sagt Rüdiger Stannek, „aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass das die Landwirte viel Geld kostet. Sicher gibt es dafür Fördermittel, aber die sind, wenn es hoch kommt, 20, 30%, den Rest muss der Landwirt erst mal erwirtschaften.“
In den immer kürzeren Ausbringezeiten kann man Dienstleister in Anspruch nehmen. Aber schon nach der letzten Verschärfung der DüV im Jahr 2017 hat sich gezeigt, dass diese an ihre Grenzen kommen. Sie haben für die Ausbringung der Gülle die meiste, modernste, ausgefeilteste Technik, aber wenn sich auch für sie die Zeit verkürzt, in der sie ausfahren können, dann bräuchten sie in sehr kurzer Zeit noch mehr Technik, die sich aber den immer länger werdenden Rest des Jahres nicht amortisieren kann. Das verteuert diesen Prozess enorm.
Die Radeburger sind überzeugt, dass die kleinen Betriebe, insbesondere die Tierhalter, viel schlimmer dran sind als ihre Genossenschaft, denn sie haben weder genügend eigene Flächen zur Verfügung, um in kurzer Zeit größere Mengen auszubringen, noch sind sie in der Lage, so riesige Investitionen für mehr Lagerhaltung zu stemmen. Das plus die Preispolitik des Lebensmittelhandels ist der „Mix“, der den Zorn der Bauern hervorruft.
Zur Wende befand sich im Boden ein Stickstoffüberschuss von 100 kg/ha. Das ist ungefähr so viel wie eine ganze Jahresgabe. Im Grunde genommen konnte man in den Jahren nach der Wende von den noch vorhandenen Überschüssen gut leben. Heute erhält der Boden mit durchschnittlich ca. 30 kg/ha genau das, was er verbraucht und durch Beachtung der Vegetationszeiten gelangt auch nichts mehr in den Wasserkreislauf.
Um den Nachweis zu erbringen, werden Bodenproben „GPS-genau“ genommen, also auf den Meter genau, so dass Betrug ausgeschlossen ist. So kann man nachweisen, dass entsprechend dem, was man auf einer Fläche anbaut, gedüngt wird, nicht mehr und nicht weniger. „Das ist alles wissenschaftlich und korrekt,“ versichert Rüdiger Stannek.
Für den Erfolg der Forschung am nachhaltigen Düngen führt Stannek ein weiteres Argument ins Feld. „Die Röder ist eines der wenigen Gewässer in Deutschland, ich glaube in Sachsen das einzige, das den von der EU geforderten Nitratgrenzwert einhält.“ Damit sind wir bei der 2. Annahme.
Annahme 2: Überdüngung ist die Hauptursache für die Überlastung der Gewässer.
Nimmt man das Erfolgsbeispiel Röder, in deren Einzugsbreich durch vernünftige, dem Stand der Wissenschaft entsprechende Düngung der Grenzwert langfristig unterschritten wurde, so kann man von einem Zusammenhang zwischen Nitraten und Phosphaten im Boden und in den Gewässern sicher ausgehen. Das haben die Radeburger selbst hinbekommen. Dennoch möchten auch die Agrargenossenschaftler die Landwirtschaft nicht überall als Verursacher für hohe Nitratwerte gelten lassen. Dafür haben sie ebenfalls ein gutes Beispiel.
Ergebnisse wie das an der Röder legen nahe, überall zu versuchen, durch Einschränkung der Düngung den gesamten Wasserkreislauf in Bezug auf chemische Belastungen in den Griff bekommen zu wollen. Dazu wurden europaweit, also auch in Deutschland, zunächst die Gebiete erfasst, in denen ein hoher Nitratgehalt im Grundwasser vorhanden ist. Haben Grundwassermessungen eine hohe Nitratbelastung ergeben, wird der ganze um den Messpunkt liegende Bereich zum „roten Gebiet“ erklärt. Die in diesen Gebieten liegenden landwirtschaftlichen Flächen müssen den abhängig von der Bodenbeschaffenheit computergestützt ermittelten Düngemittelbedarf der Pflanzen nach der neuen DüV nun um 20% unterschreiten. „Das bedeutet aber auch: 20% weniger Ertrag und das geht an die Substanz“ sagt Rüdiger Stannek.
„Die Festlegung der Gebiete ist völlig willkürlich,“ ergänzt Heiko Hennersdorf und man spürt, dass ihn das Problem wirklich aufregt. „Wir haben eine solche Fläche in Reichenberg. Es ist ausgerechnet die ertragreichste Fläche, die wir haben und hier dürfen wir den Pflanzen nicht geben, was sie brauchen.“
Laut Geoportal des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und Geologie (LfULG) beruht die Einstufung auf Messungen am Messpunkt Reichenberg, der sich in der Nähe der Anschlusstelle Dresdner Straße an die S81 befindet. Hier die Grundwasserbelastung langfristig 100 mg/l (2018) und ist trotz „roter Einstufung“ und regelgerechter Düngung 2019 sogar auf 600 mg/l gesprungen. Zum Vergleich: An der Messstelle Wasserwerk Radeburg liegt die Nitratbelastung seit 2011 unter 10 mg/l. „Wir haben Reichenberg keine Tiere auf Gülle,“ erklärt Rüdiger Stannek, „hatten dort nie Gülledüngung, auch zu DDR-Zeiten nicht, und wir betreiben dort auch keine Biogasanlage, trotzdem werden wir bestraft für etwas, was wir offensichtlich nicht beeinflusst haben.“
Durch den unterstellten Zusammenhang von Nitratbelastung des Grundwassers und Wirtschaftsweise der Bauern wird in der Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt, die Landwirte würden aus Profitgier unserer Umwelt schaden. „Egal wie man gewirtschaftet hat, egal wie verantwortungsvoll man umgegangen ist mit seinem Dünger, man wird an den Pranger gestellt und muss für etwas geradestehen, was man gar nicht beeinflussen kann“ sagt Anna-Sophie Großmann, die sich als Sachberaterin Pflanzenbau in der Agrargenossenschaft fachlich bestens mit der Materie auskennt.
Annahme 3: Die konventionelle Landwirtschaft ist der größte Luftverschmutzer
Gerade wir „Alt-Radeburger“, alle, die vor der Wende schon hier lebten, wissen, was „gute Landluft“ ist. Ärzte haben Eltern mit Kindern, die an Asthma oder chronischer Bronchitis litten, hinter vorgehaltener Hand empfohlen, lieber hier weg zu ziehen. „Die Autobahnabfahrt Radeburg“ konntest du sogar im dichten Nebel finden. Du musstest sie nicht sehen, Du hast sie gerochen,“ hieß es damals am Stammtisch.
Die „Landluft“, die hier gemeint ist, setzt sich zusammen aus Ammoniak, Methan und – es wird manche überraschen – Lachgas. Gegenwärtig wird erforscht, ob das in der Landwirtschaft emmitierte Ammoniak die Hauptursache von Feinstaub ist. Methan und Lachgas als Gase, die einen vielfach höheren Treibhauseffekt haben sollen als Kohlendioxid.
Bleiben wir zunächst beim Ammoniak. Bereits im vergangenen Jahr hat die WDR-Sendung „Monitor“ aus einer unveröffentlichten Studie des Max-Planck-Institutes (MPI) zitiert, wonach die Ammoniak-Emissionen die Hauptursache für Feinstaub seien. Als „alternativloser Fakt“ hat sich dies leider festgesetzt. Das Umweltbundesamt gibt das Forschungsergebnis weiter, wonach 95 % der Ammoniakemissionen in der Atmosphäre durch die Landwirtschaft verursacht seien. Selbst wenn dies unstrittig ist, so ist der gesundheitsschädigende Einfluss von Ammoniakemissionen via Feinstaub auf unsere Gesundheit keineswegs erwiesen. Lungenärzte bestreiten nach wie vor, dass hohe Feinstaubkonzentrationen ursächlich für Todesfälle sind. Ab welcher Konzentration Ammoniak tatsächlich schädlich ist, dazu merkt das Umwelt-Bundesamt an, dass es „dafür keine ausreichende Regelung“ gibt.
Und wie sieht es mit den beiden anderen „Umweltsündern“, Methan und Lachgas, aus?
Auch sie sind, wie Ammoniak, Stickstoffverbindungen. Auch hier gilt die Landwirtschaft als größter Emittent. Methan soll ein 28fach stärkeres Treibhausgas sein als CO2, Lachgas sogar ein 265 mal stärkeres. CO2 ist mit 0,038% Anteil in der Atmosphäre jedoch nur ein Spurengas. Methan ist mit 0,000177% und Lachgas mit 0,000032% noch viel weniger in der Atmosphäre vorzufinden. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass diese Mengen vernachlässigbar sind. Vielleicht voreilig? Der Einfluss von Methan und Lachgas auf die globale Erwärmung wird derzeit erforscht. Dennoch unterstellt die neue DüV, dass dies bereits gesicherte Fakten seien. Dass man nicht endgültig bewiesene Thesen zum Maßstab für Gesetze nimmt und die konventionelle Landwirtschaft pauschal verteufelt – das ist es, was den großen Zorn bei den Hauptproduzenten unserer Nahrungsmittel auslöst.
Heiko Hennersdorf möchte das Pauschalurteil mindestens nicht für seinen Betrieb gelten lassen: „Wir wissen ja alle noch, wie es bei der KIM oder auch auf der LPG gehandhabt wurde,“ sagt er, „Gülle war schlecht – weg das Zeug! Da sind wir doch längst drüber hinaus. Heute haben wir gelernt und wissen, dass es wertvolle Rohstoffe sind, wenn man sie zur richtigen Zeit und in der für die jeweilige Fläche richtigen Menge auszubringt. Wir, gemeinsam mit der Agrargenossenschaft Ebersbach, befassen uns seit 10 Jahren mit dem Handling organischen Düngers. Für uns sind die Einschränkungen durch die neue Verordnung ein Rückschritt. Würde man statt willkürlicher zeitlicher Begrenzung die Vegetationszeit besser nutzen, würde man einerseits Dünger einsparen und andererseits auch die Gewässer schonen. Die Luft belasten wir dank unserer modernen Technik ohnehin nicht mehr.“
Wie sieht diese moderne Technik aus, durch deren Einsatz „Landluft“ nicht mehr das ist, was sie einmal war?
Die Agrargenossenschaft hat in ein Joskin-Güllefass investiert. Dieses ist zwar kostenintensiv, aber neuester Stand der Technik und unglaublich weit entwickelt. Ein Sensor ermittelt, was an Nährstoffen im Fass ist, ein zweiter Sensor auf dem Fahrzeug scannt die Bodenbeschaffenheit. So kann man genau das ausbringen, was wissenschaftlich das Beste für den Boden ist. „Ist eine geniale Sache um eine Überdüngung zu vermeiden“, erklärt Heiko Hennersdorf, „es ist so genau, dass keine Gase entstehen, die dann die Luft belasten. Wir düngen bis an die Ortslage ran, ohne dass sich jemand beschwert. Früher hatten wir fast täglich Anrufe, dass es irgendwo stinkt.“
So ist für die beiden Agrargenossenschaften die wissenschaftliche Debatte um Feinstaub und Klimagase nur noch eine akademische. Ohne die neue DüV und die damit verbundene Pauschalverurteilung wären sie gar nicht betroffen. Die beiden Genossenschaften haben hier einen Vorteil durch ihren Wissensvorsprung, weil sie erforscht haben, wie sie mit organischem Dünger, also Gärresten, Gülle, Mist usw. umgehen müssen. Andere müssen es erst lernen. Wie schon anfangs gesagt, ist dies eine nachhaltige, ökologische Arbeitsweise, die von der neuen DüV aber nicht unbedingt unterstützt wird.
„Der Verein LandSchafftVerbindung hat inzwischen Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit den genannten Themenkomplexen beschäftigen,“ sagt Jörg Binder. „Es gibt zum Beispiel die Arbeitsgruppe Tier, die sich mit dem Tierwohl befasst, die Arbeitsgruppe Pflanze, die sich mit dem Thema DüV befasst, mit den roten Gebieten und der Problematik der Messstellen, eine Arbeitsgruppe für Allgemeines und eine für Medien. Ziel soll sein, im Rahmen der Gesetze und mit demokratischen Mitteln zu zeigen, dass die Bauern bereit sind entgegenzukommen, aber das gleiche auch von den Lebensmitteldiscountern erwarten und nicht zuletzt vom Gesetzgeber und den Behörden.“
Was sind die Konsequenzen, wenn das nicht gelingt?
Deutlich ansteigende Kosten bei wahrscheinlich geringen Effekten einerseits. Andererseits noch größerer Wettbewerbsdruck als ohnehin schon, denn vor allem in Nordamerika, aber auch in anderen Ländern Europas wird deutlich billiger produziert. „Amerika hat wenig Vorschriften, was den Einsatz von Düngemitteln betrifft,“ sagt Anna-Sophie Großmann. „Wir haben die Vorschriften, die unsere Landwirtschaft verteuern und dann holen die Lebensmittelhändler die günstigeren Produkte aus diesen Ländern. Dann ist die Frage: was ist in dem drin, was wir essen und was nützt es der Umwelt global gesehen?“
Zur Konsequenz gehört aber auch, dass die Bauern dann zeigen wollen, wer sie sind. „Wir haben uns eigentlich um unsere Tiere und Pflanzen zu kümmern und überhaupt keine Lust, draußen mit der Rundumleuchte durch die Gegend zu fahren,“ schätzt Jörg Binder ein. „Die Zeit, die uns das kostet, können wir nicht von der Arbeit auf dem Feld und im Stall abknapsen. Die Zeit geht uns für unsere Familien verloren. Wir haben in Berlin gesehen, dass wir viele sind und dass wir, obwohl wir auch Konkurrenten im Geschäft sind, sehr gut zusammenstehen können. Man sollte uns nicht unterschätzen.“
*Name von der Redaktion geändert