Ich, Erzieherin mit Herz und Seele, begrüße die Kinder endlich nach der langen Notbetreuung nach unzähligen Wochen wieder in unserer Einrichtung. Einige Kinder fehlen immer noch. Zu groß ist die Angst einiger Eltern vor einer Ansteckung und dem Hin und Her, was auf ihre Kinder nun wieder zukommen wird. Ich weiß nicht, wann ich sie endlich wiedersehen kann…
Die anderen Kinder drücken und herzen mich. Zu lange hat das Wiedersehen gedauert. Wir fangen nicht mit Angeboten an, nicht nach dieser Zeit. Die Kinder wollen ankommen, einfach mit ihren Freunden spielen. Freunde, die sie so lange nicht hatten. Ich genieße die strahlenden Augen der Kinder. So viel haben sie zu erzählen. Wie traurig sie in der Zeit waren, als der Kindergarten zugemacht hat. Wie sehr sie ihre Freunde und Spielkameraden vermisst haben. Wie lange sie ihre Großeltern nicht mehr besuchen konnten. Und dass Mama und Papa gestresst von der vielen Arbeit zu Hause sind. Diese Situation geht nahe. Der Moment des Glücks hält nur kurz an. Er wird gebremst von den Gedanken, wie lange die Kinder diese Unbeschwertheit diesmal leben können. Wann folgt die nächste Schließung? Wann die nächste Quarantäne?
Diese Frage wurde nach wenigen Tagen beantwortet. Ein Kind wurde positiv getestet. Nach Tagen voller Liebe, Augenstrahlen und Kinderlachen wurden die Kinder also wieder heim geschickt. Inklusive wir Erzieher. Geschickt in Isolation. Ohne Kinder, ohne Kita-Alltag, ohne Vorwarnung. Verzweiflung der Eltern, Angst ihrer Arbeit nicht mehr nachkommen zu können und der Vorstellung, ihren Kinder wieder diesen Zustand zumuten zu müssen. Weitere positive Tests, Verlängerung der Absonderung in den eigenen vier Wänden…
Das nächste Wiedersehen. Wieder eine Atmosphäre der Freude, des Glücks und des Gefühls wieder in Freiheit zu sein und das Leben leben zu können. Doch etwas in anders. Die Kinder fragen, wann der Kindergarten wieder zu macht. Ob sie uns wieder vermissen müssen. Ob sie wieder von ihren Freunden getrennt werden. Die Nähe der Kinder, die sie suchen, ist größer. Sie kleben förmlich an uns Erziehern und ihren Spielkameraden. Sie sind unsicher. „In welchem Gartenbereich dürfen wir diesmal spielen?“ „Dürfen wir wieder singen und uns drücken?“ „Müssen wir bald wieder Zuhause bleiben?“ Auch diese Frage wurde nach wenigen wundervollen Tagen in Struktur beantwortet.
Die Inzidenz des Landkreises lässt eine Öffnung der Kitas nicht mehr zu. Ab Montag wird geschlossen. Wieder nur Notbetreuung. Ich schaue in die Augen der Kinder, die ich Montag nicht mehr wiedersehen darf. Sie ahnen nichts von all dem… mir schießen erneut die Tränen in die Augen… Ihre Eltern gehen Berufen nach, die nicht wichtig genug in den Augen der Regierung sind. Oder ihre Eltern befinden sich in Elternzeit, sie können ja ihre Kinder selber betreuen. Ja. Betreuen.
Aber können sie
- soziale Kontakte zu Gleichaltrigen ersetzen? Nein!
- Können sie Werte und Normen, die nur in der Gruppe vermittelt werden, ersetzen? Nein!
- Können sie mit Kindern so spielen, wie Kinder mit Kindern es tun? Nein!
In mir als Erzieherin wachsen die Fragen: „Was ist plötzlich mit den Kinderrechten?“ „Wo ist die Gleichberechtigung geblieben, dass jedes Kind ein Recht auf die Kita hat?“ „Wohin sind die Rechte auf Bildung, Spiel und Freunde?„ Was hier mit den Kinderseelen passiert, ist ein Verbrechen und nicht mehr tragbar. Es folgen zunehmend Unsicherheiten, Ängste und Wesensveränderungen. Die Kinder werden vom Handeln des Systems kaputt gespielt. Und das sind keine Vermutungen, ich sitze in der ersten Reihe und tröste genau diese Kinderseelen!
Die Coronasituation ist keine leichte. Es geht um den Schutz der Bevölkerung, dies ist mir bewusst. Doch die Verhältnismäßigkeit der Bestimmungen und Verordnungen ist in meinen Augen nicht gegeben. Der Ansatz ist schlicht weg verkehrt. Natürlich müssen Menschen mit einem positiven Testergebnis herausgenommen werden, um den Schutz aller zu gewährleisten. Doch eine gesamte Gruppenquarantäne oder ständige Schließung der Kita in den Notbetrieb nach wenigen Tagen erachte ich als unzumutbar.
In der UN-Kinderrechtskonvention haben wir Kindern ein Zeichen für ihre Rechte gesetzt. Wir haben uns verpflichtet, diese zu wahren und ernst zu nehmen. Wir Erwachsenen sind ihr Sprachrohr, ihre Beschützer. Wir tragen Verantwortung dafür, dass ihre Rechte umgesetzt werden. Wir tragen die volle Verantwortung für ihren Schutz. Nicht nur für ihren körperlichen, sondern vor allem auch für ihre psychische Unversehrtheit. Doch der Schutz der Kinder wird zur Zeit mit den Füßen getreten!
Nicht nur die Inzidenz der Coronafallzahlen steigt. Stetig steigen auch die Zahlen beim Jugendamt für Gewalt innerhalb der Familie, der Anrufe beim Kindernottelefon sowie die Zahlen für Rezepte einer benötigten Psychotherapie wegen Angst, Panik und Suizidgefahr. Wie lange werden diese Zahlen ignoriert? Wie lange werden die Schreie der Kinder und Eltern ignoriert? Ab welchem Inzidenzwert kommt es hier zum Handlungsbedarf??? Ich bin schockiert, dass seit über 1 Jahr (!) kein Wert auf all dies gelegt wird. Ich fordere deshalb im Namen aller Kinder, die sofortige Öffnung der Kindertageseinrichtungen, um die Ausübung der Kinderrechte gewährleisten zu können!
Mit freundlichen Grüßen,
eine betroffene und erschütterte Erzieherin
*Name ist Redaktion bekannt.