Es gibt Wendepunkte im Leben, nach denen nichts mehr ist, wie es vorher war. Gut, wenn wir über solche Punkte selbst bestimmen können. Freundschaften, Hochzeiten, Geburtstage, Schulein- und -ausgänge, Unternehmens-Startups – solche Tage feiern wir dann als Jubiläen. Aber manchmal geschehen Dinge, da war man nur zur falschen Zeit am falschen Ort oder hat etwas getan von dem man wünschte, es wäre nicht geschehen und man bekäme eine zweite Chance. Unfälle. Ereignisse, an die wir immer wieder erinnert werden und mit denen wir kaum fertig werden, selbst wenn wir nicht Opfer, sondern nur Augenzeugen waren oder gänzlich Außenstehende sind.
Er nickt, ja, und das ist schon viel, denn zunächst ging gar nichts mehr. Ein Jahr war er ans Bett gefesselt, jetzt sitzt er im Rollstuhl. Die linke Hand arbeitet ganz gut mit, die rechte macht Fortschritte. Ob er je wieder wird laufen können ist fraglich. Dennoch treibt es ihn zurück ins Leben. Er hat Pläne, in seiner Tischlerei nach behindertengerechtem Umbau wieder mitzumachen. Was half ihm, den Lebensmut wiederzufinden und zu bewahren? Da ist ganz sicher zuerst seine Familie zu nennen. Seine Mutter, „meine Schwester Ines, meine Organisatoren, die alles koordiniert haben und die Fäden zusammenhalten,“ hebt Toralf hervor und lacht: „Ines und ihr Mann, der Rico. Der Rico kann Dir so herrlich positiv auf den Geist gehen. Der hat so eine penetrante Art und Weise, den Leuten auch so lange auf den Nerv zu gehen, nicht unfreundlich, aber hartnäckig. Im Fußball würde man sagen: ein Wadenbeißer.“ Ines Bürger sagt: „Wir haben die Rahmenbedingungen geschaffen, damit das hier alles losgehen kann.“ Sie hat nicht zuletzt auch das Spendenkonto eingerichtet und betreut.
Und dann war da einer, der schon lange ein guter Freund war – Ulf Walther. Beide hatten als ehemalige Karnevalsprinzen großen Erfolg mit der „Biene Maja“ beim närrischen Publikum und tingelten seitdem als Karel Gott und Darinka durch die Wochenenden. Bis zu jenem Tag eben, als Ulf Walther zum Augenzeugen und Ersthelfer wurde – von einem an sich ganz normalen Kopfsprung, wie er beteuert. Der gelernte Metallbauer brauchte nicht lange, um auf die Idee zu kommen, dem Freund zu helfen und seine Firma mitsamt Mitarbeitern zu übernehmen. Zunächst mit allen Ungewissheiten, die sich in einer solchen Ausnahmesituation ergeben. Es geht ganz schnell, dass sich die Krankheit eines Firmenchefs herumspricht und dann auch noch die Aufträge ausbleiben. „Das hatte ich schon einmal durch, als ich Darmkrebs hatte,“ erinnert sich Toralf Schrödel. „Da gingen die Umsätze auch zurück, als sich das herumsprach.“ Aber auch die beiden Mitarbeiter wollten zur Stange halten, obwohl nun alles ungewiss war, einschließlich der Lohnzahlungen. Wichtig waren besonders die Stammkunden. Darunter auch die Firma Bennewitz, die Dittsdorfer Wurzeln hat und nun erst recht Kleinaufträge. Selbst kleinste Aufträge waren für Ulf Walther jetzt wichtig, um zu zeigen, dass die Firma weiterhin präsent ist. Im doppelten Sinne überlebenswichtig. „Ulf möchte ich unbedingt erwähnen, denn ich kann wirklich nur danken. Es ist unglaublich, was er Solidargemeinschaftgeleistet hat. Ein wahrer Freund.“ Nach der Rettung der Firma ging es darum, Toralf aus der Krankenhausumgebung wieder nach Hause zu holen. Um es gleich zu sagen: ein nahezu unmögliches Unterfangen, wenn man in einem alten, verschachtelten, aus vielen Um- und Anbauten bestehenden Gebäude wohnt – mit steilen Treppen, Schwellen, schmalen Fluren und Türen. Es sei denn mit viel Geld. Geld, das nicht vorhanden war, denn bis heute gibt es keine Zahlungsbereitschaft der Versicherung und die 10% Zuzahlungen zu Arznei- und Hilfsmitteln verschlingen das kleine Vermögen. Aber Toralfs Schicksalsschlag hatte sich herumgesprochen und als diese Absicht bekannt wurde, dass er heimkehren möchte, gab es eine Welle der Solidarität. Im September des letzten Jahres sammelte der RCC zugunsten des Exprinzen beim Radeburger Erntedankfest und viele Mitglieder waren gleich zu Anfang bei Abrissarbeiten mit vor Ort. Den 30. Oktober, Reformationstag, machten die Großdittmannsdorfer Fußballer zum Benefiztag. Auch andere Vereine aus dem Ort und Radeburgs Fußballer waren mit dabei. Wir berichteten. Über 5000 Euro kamen allein dadurch zusammen. Weitere Spender haben auf das bekanntgegebene Spendenkonto überwiesen.
«Das Geld aus der Benefiz-Aktion der Großdittmannsdorfer Fußballer entsprach genau der Zuzahlung zur Anschaffung des E-Rollis, der 32.000 Euro gekostet hat,» bedankt sich Toralf. Die Anschaffung war ein Muss, um aus dem Krankenhaus in die heimische Umgebung kommen zu können. Nun aber ging es noch um den Umbau der Wohnumgebung.
Die Planung des Umbaus übernahm der Architekt Tino Richter, dessen Büro unmittelbar gegenüber der Tischlerei liegt. Da war einiges zu planen.
«Die Schwellen mussten raus und der Fußboden eben gemacht werden, die Türen waren zu verbreitern, das Bad musste komplett umgebaut werden», sagt Toralf. Und Tino Richter hat das nicht nur einfach so geplant, sondern auch noch anderen von Toris Schicksalsschlag erzählt. So spendeten seine Geschäftspartner Thomas und Silke Enge von der Weiott-Massivhaus GmbH in Ottendorf-Okrilla die Fliesen für das behindertengerechte Bad. Ines Bürger: «Wir haben nachgefragt und man hat uns die Rechnung gezeigt. Das haben die beiden vollständig privat bezahlt, obwohl wir uns vorher gar nicht kannten. Das ist Nächtsenliebe.» Elferratskollege Maik Thomas brachte seine Beziehungen ins Spiel, um über Kronospan kostenlos die Fußbodenbeläge zu beziehen. Elferrat Uwe Berge von Installationsbetrieb Herrmann aus Radeburg hat die gesamte Badinstallation kostenlos gemacht. Uwe Lißner hat alles gemalert. Karsten Bornstein von der Bodener Natursteinfirma baute Fensterbänke und eine Rampe ein. Tischlerkollege Mario Zeidler hat sieben Fenster kostenlos hergestellt und eingebaut. Ulf Walther wiederum baute die Türen ein, war also auch hier mit dabei.
Elmar Garten vom RCC-Technik-Team hat die gesamte Elektrik erneuert. Bis sie komplett erneuert war, war ständig etwas kaputt. «Fast täglich gab es eine technische Katastrophe», sagt Ines. «Komme sofort,» hieß es bei Elmar nur. Er war immer zur Stelle. Ein ähnlicher Intensiv-Helfer war Nachbar Andreas Claus, der ständig da war und was machen wollte. «Der hat eben mal das ganze Haus abgeputzt und gemalert,» staunt Ines immer noch. «Und dann hatte er selber einen schweren Unfall. Danach war er selber lange krank und hat sich fast noch entschuldigt, dass er als Helfer ausfiel.
René Eilke von Fuhrmann-Bau hat mit seinen Leuten den kompletten Hof gepflastert, die Rampe gebaut, die Wand- und Deckendurchbrüche für den Lifteinbau gemacht, Innenausbauten, Tockenbau... «Einzelne Mitarbeiter sind auch über sich hinausgewachsen. Die Mitarbeiter Toni Labudde und Frieder Herrmann zum Beispiel, die auch noch am Wochenende gekommen sind, um fertig zu werden und auch noch mit eigenen guten Lösungsvorschlägen dabei waren.
André Große wäre noch zu nennen, von Schindler-Aufzüge, der den ganzen Lifteinbau kostenlos nach Feierabend gemacht hat und weil Toris Rollstuhl sich nach Lieferung als schwerer herausstellte als vorher vom Lieferanten angegeben, musste der Lift dann auch noch umgebaut werden. Das übernahm Falk Böttger von Hansaflex, der dann auch noch für die entstehenden Kosten selbständig Spenden eingeworben hat.
Von der Pflegekasse kamen 4.000 Euro als einmaliger Zuschuss. Davon soll der behindertengerechte Umbau eines Autos bezahlt werden. Eines Tages wieder ein Fahrzeug führen zu können wäre ein unglaublicher Rückgewinn an Freiheit. Es ist ein Ziel, für dass er die Beweglichkeit beider Arme zurückgewinnen will. Deshalb braucht er noch ein paar Dinge. «Ein Seilzug wäre gut zur Kräftigung der Arme, wie ich ihn in Kreischa in der Reha hatte. Noch besser wäre ein Motomed- Aktiv-Passiv-Bewegungstrainer, der auch die Beine unterstützt und in Bewegung hält. Sehr nützliche Dinge, die man sich aber leisten können muss.»
«Da die Versicherung nicht zahlt, hatten wir eigentlich dann nur noch die SAB-Förderung. Davon haben wir Material bezahlt, wie zum Beispiel die Türen. Die Einbauten wurden alle in Eigenleistung durch Freunde gemacht,» sagt Ines Bürger und Toralf Schrödel ergänzt: «Und da können wir froh sein, in Sachsen zu leben, denn nur in unserem Bundesland gibt es überhaupt diese Förderung.»
Ines Bürger sagt: «Jetzt sind, wie gesagt, durch all diese Maßnahmen die Rahmenbedingungen geschaffen. Ich möchte aber nicht die Pflegekräfte vergessen. Die Krankenkasse übernimmt zwar die Kosten für die Intensivpflege, aber ein Pflegeunternehmen musste erst gefunden werden. Fündig wurden wir beim Familienunternehmen Kunze aus Weißwasser. Sie kommen hier in ein neues Gebiet. Mussten das Personal vor Ort erst rekrutieren. Dafür hingen einige Tage überall Plakate aus und das Personal wurde auch gefunden, so dass Toralf nun betreut werden kann, damit die Angehörigen auch ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen können.» Sieben Personen teilen sich die Rundumbetreuung. Alle sind aus der Umgebung, bis auf eine Pflegerin, die aus Polen kommt und für die im Haus auch ein Zimmer zum Übernachten eingerichtet wurde.
Toralf liegt am Herzen, auf diesem Weg allen Genannten und auch den ungenannten Spendern und Helfern Danke zu sagen. Seine Schwester ergänzt:
«Mir fallen immer wieder Helfer ein, die ich noch gar nicht genannt habe. Roberto Bernd fällt mir noch ein, der für die Verlegung der Elektrik die Wände aufgespitzt hat und sich auch sonst für keine Hilfsarbeit zu schade war, oder Fränzi Hübler, die Tori regelmäßig kostenlos die Haare schneidet. Viele mehr gibt es noch, manche wollen auch ausdrücklich nicht genannt werden, was wir respektieren. Es ist auch unglaublich, was für einen Zugewinn an sozialen Kontakten wir haben, was einfach gut tut und kurz gesagt; das alles hat ihn am Leben gehalten, ihm Mut gegeben, zu kämpfen. Dadurch konnte er sich auf etwas freuen, wusste, dass es weiter geht und dass man nicht ins Ungewisse stürzt. Es ist schon toll, dass man wieder in seine gewohnte Umgebung kann und nicht in einem Krankenhausbett dahindämmert.
Wenn man das Geld einer Versicherung gehabt hätte, hätte man mal schnell für 300.000 Euro neu gebaut, aber wenn die die Zahlung verweigern, das ist dann schon hart, wenn man so vor dem Nichts steht.
Und dann kam Tilo Richter, der für lau die Umbauplanung gemacht hat. Der erste Lichtblick, der erste Mutmacher. Mit der Aussicht, wieder heim kommen zu können, kam der Optimismus zurück und dann kam diese Welle der Solidarität, die einfach unglaublich ist.»