Schnelles Internet, eine Erfolgsgeschichte - und eine netzpolitische Katastrophe
Vor fast genau 10 Jahren fand in Thiendorf eine Beratung der Bürgermeister der im Dresdner Heidebogen zusammengeschlossenen Kommunen statt, bei der Ralf Berger von der Firma Innoka Lauchhammer das Thema „Breitband“ und dessen Bedeutung für die Zukunft populärwissenschaftlich darzustellen versuchte. Damals wurde Breitband noch mit Übertragungsgeschwindigkeiten von „über 2 Mbit“ definiert. Bereits damals gab es eine sächsische Breitbandinitiative. Bereits damals wurden Fördermittel zur „Schließung der Versorgungslücke“ bereit gestellt. Die Mehrzahl der Bürgermeister verstand zwar die Bedeutung des Internets vor Ort als Standortfaktor, aber die Fördersätze waren damals noch so, dass sie die kommunalen Haushalte stark belasten würden. Der Bund versäumte es, den flächendeckenden Breitbandausbau zur kommunalen Pflichtaufgabe zu machen und Länder und Kommunen dazu passend mit den entsprechenden Mitteln auszustatten. Bis heute wehren sich die Kommunen gegen einen Rechtsanspruch.
Dazu kam als „Störfaktor“ der frisch börsennotierte „Staatsbetrieb“ Telekom, der auf Teufel komm raus Gewinn erwirtschaften sollte und schon deshalb keine Lust verspürte, im defizitären ländlichen Raum lange Leitungen für wenig Abnehmern zu verlegen.
Diese Gemengelage konstatierend ließen die Bürgermeister den guten Innoka-Mann schulterzuckend stehen. Zu den vom Ergebnis enttäuschten Teilnehmern der Veranstaltung gehörte auch Michaela Ritter, damals noch Regionalmanagerin im Dresdner Heidebogen. Einige erste Machbarkeitsstudien wurden zwar danach trotzdem auf den Weg gebracht, aber nur mit dem Ergebnis, dass die so genannte „Wirtschaftlichkeitslücke“ - nur für diese wurden Fördermittel bereit gestellt – viel zu groß war. Für Gemeinden wie Ebersbach, Schönfeld oder Thiendorf wurden Fehlbeträge von fast einer halben Million Euro aufgerufen, was Eigenanteile von immer noch an die 100.000 Euro erfordert hätte. Schon damals hätte der Freistaat merken müssen und können, dass das viel zu viel ist und so nicht funktionieren wird. So fiel Sachsen in Deutschland auf einen der letzten Plätze zurück – und Deutschland auf einen der letzten in Europa.
Dennoch wären Lösungen in den letzten 10 Jahren schon möglich gewesen, hätte man sich erfolgreiche Länder angesehen. Kreuz und quer im ganzen Land lagen schnelle Glasfaserkabel und wurden neue verlegt, die nur zu einem kleinen Teil genutzt werden. Entlang der Autobahnen für die diversen Informationssysteme, entlang der Bahntrassen, an Gasfernleitungen, Stromtrassen – überall wurde Glasfaser für die Steuerung gebraucht – aber eben nur zu einem Teil der Leitungskapazität. Der größte Teil der Leitungen blieb ungenutzt.
Bereits 2008 hatte die OPAL Gastransport GmbH & Co KG deshalb der Telekom und jedem anderen Interessenten angeboten, ihr Glasfasernetz mit zu nutzen. Man könnte vermuten, dass das Netzentgelt zu hoch war – allein: es wurde nach anfänglichem Interesse gar nicht erst verhandelt. Inoffiziell hieß es aus lokalen Telekom-Kreisen: Anweisung von René Obermann. So wurde zwar quer durch die unterversorgte Gemeinde Ebersbach und zwischen Bärwalde und Steinbach viel Erde bewegt und Glasfaser verlegt, aber die Dörfer blieben weiter unversorgt. In anderen Ländern dagegen wurden Baugenehmigungen für Glasfasertrassen nur erteilt, wenn der Antragsteller freie Kapazitäten anderen Anbietern zur Verfügung stellt - und die Telekommunikationsanbieter nutzten sie. Funktionierte überall, nur nicht in Deutschland, wo es mit der Bundesnetzagentur eine Regulierungsbehörde gibt, die die Bezeichnung nicht verdient, weil sie die Monopolstellung der Telekom schützt.
Inzwischen hat sich die Voraussage, dass Breitband zum Standortfaktor wird, bewahrheitet. „Neuansiedler fragen zuerst nach Internet,“ sagte Sebastian Fischer (MdL CDU) auf der Inbetriebnahme-Feier, „egal ob sie hier wohnen oder ein Unternehmen gründen wollen. „Kein schnelles Internet“ bedeutet inzwischen alles unter 16 Mbit. Dadurch sind die weißen Flecken im ländlichen Raum in den 10 Jahren größer statt kleiner geworden. Die kabellose Alternative LTE erwies sich nur kurzzeitig als hilfreich, denn die Bandbreite der Funkzellen ist schnell erschöpft. Je mehr Nutzer im LTE-Netz „online“ sind, desto langsamer wird das Netz für jeden.
Michaela Ritter hatte die Zeichen der Zeit erkannt und Breitband zum Grundbedarf erklärt, als sie 2013 zur Bürgermeisterwahl antrat. Bereits kurz nach der Wahl machte sie sich daran, das Wahlversprechen zu erfüllen. 2014 begannen die Verhandlungen mit der ENSO, die bereits im Stadtgebiet von Großenhain den Breitbandausbau vorantrieb. 2015 folgte der erste Spatenstich, 2016 war das Stadtgebiet erschlossen, 2017 folgte der Ausbau der Ortsteile. Gerade letzteres wurde zur Erfolgsgeschichte.
„Wir hätten mit den Dörfern anfangen sollen,“ schätzte ENSO-Geschäftsführer Dr. Steffen Heine ein. „Hier haben wir noch mehr Abschlüsse pro Woche als in der Stadt.“ Hintergrund ist sicher, dass in der Stadt alle, die im Stadtzentrum, nahe am Hauptverzweiger wohnen, der sich im alten Postamt befindet, mit den dort tatsächlich verfügbaren 16 Mbit zufrieden sind. Ein anderer Grund dürfte sein, dass kurz vor der Inbetriebnahme des Radeburger ENSO-Netzes die Telekom auf eine neue Technologie (VoIP) umgestellt und alle Kunden, die nicht aufgepasst haben, in neue Zweijahresverträge gezwungen hat. Viele Kunden, die zur ENSO wechseln wollten waren überrascht, dass sie die neuen Fristen an einem Wechsel hinderten.
Der Wettbewerb wird mit harten Bandagen und nicht im Sinne einer allgemein angenommenen Fairness geführt. Schon gar nicht sorgt sich die Bundesnetzagentur um die Verbraucher, was eigentlich ihr Auftrag ist. Schon 2016 hat sie eine „netzpolitische Weichenstellung vorgenommen, indem sie die Nahbereiche von etwa 8.000 Hauptverteilern zum allergrößten Teil der Telekom überlassen hat. Diese hat sich im Gegenzug dazu verpflichtet, die Bereiche mit der Vectoring-Technik zu erschließen,“ schreibt der kritische Blog netzpolitik.org. "Win.Future" stellt dazu fest, bis 2018 "sollte laut den Zielsetzungen in der Digitalen Agenda jeder Haushalt in Deutschland wenigstens einen Internet-Anschluss mit einer Downstream-Bandbreite von 50 Megabit pro Sekunde buchen können." Was daraus geworden ist, ist allerorten zu sehen, aber die Ausbaubereitschaftserklärung der Telekom steht als (leeres) Versprechen nach wie vor.
Von einem Extrem ins andere fallend will die neue Bundesregierung nun nur noch Ausbau von Glasfaser „bis ans Haus“ fördern und Übergangstechnologien wie Vectoring gar nicht mehr. Diese Entscheidung ist mindestens genauso verheerend, denn dafür gibt es keine Kapazitäten. Die Bürgermeister warnen: der Aufwand wird genauso hoch wie seinerzeit beim Aufbau der Abwassernetze. Man braucht Verträge mit jedem einzelnen Eigentümer von jedem einzelnen Haus. Man muss Leitungen an die Häuser legen, braucht eine Tiefbaukapazität, die in solchem Umfang gar nicht zur Verfügung steht. Wo jetzt noch nicht 50 Mbit anliegen oder mit dem Bau zumindest begonnen ist, dort braucht man – die jetzigen Regelungen zugrunde gelegt – auch in den nächsten fünf, sechs Jahren nicht damit rechnen.
Bürgermeisterin Michaela Ritter ist froh, schon vor den neuerlichen „Weichenstellungen“ gehandelt zu haben. Der Stadtrat sei wegen seiner Entscheidung, 25% Eigenanteil aufzubringen, „auch der Lächerlichkeit preisgegeben worden,“ sagte sie. „Ich wünsche mir eine ehrliche Diskussion und dass die Pioniere nicht bestraft werden. Ich habe auch erst, als ich die Formulare für die Fördermittelabrechnung haben wollte und es solche noch gar nicht gab, erfahren, dass wir überhaupt die ersten waren. Wir haben jetzt Nachteile wegen der 25%, die wir ausgegeben haben, während andere etwas besseres für null Prozent Eigenanteil bekommen sollen. Aber wir haben und nicht „wir hätten“.
So ist es. Immerhin kann nun Radeburg mit der Übergangstechnologie gut leben, während andere von Giganetzen träumen dürfen – während der Stunden, die sie auf den Download warten. Und das voraussichtlich noch für Jahre!
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